Im Kino

Eine Art Abschied

Die Filmkolumne. Von Kamil Moll
15.05.2024. Melancholische Anrufung eines kleineren Genre-Kinos: Meg Ryan, einst Superstar der RomCom-Welle hat als Regisseurin "What Happens Later" realisiert, einen Low-Budget-Film, in dem sie und David Duchovny auf einem Provinzflughafen stranden. Heimgesucht werden sie dort von Gespenstern und gemeinsamen Erinnerungen.

Mir scheint, dass Widmungen in Filmen eine besondere Bedeutung zukommt, die davon abhängig ist, an welcher Stelle sie platziert werden: Sind sie vorangestellt, markieren sie eine Verbeugung oder einen offengelegten Einfluss, oder auch eine geglückte Zusammenarbeit. Erscheinen sie im Abspann, sind sie stets eine Art Abschied. Wenn sich am Ende von Meg Ryans zweiter Regiearbeit "What Happens Later" der Schneesturm über einem kleinen Flughafen zwischen Boston und Austin lichtet, wenn nach einer endlosen Nacht, in der zuletzt alle Lichter an den Terminals ausgefallen waren, endlich wieder Flugzeuge in die Luft steigen, schließt der Film mit einer einzigen Einblendung: "For Nora".

Gemeint ist natürlich die 2012 verstorbene Regisseurin und Drehbuchschreiberin Nora Ephron, die am Anfang von Meg Ryans Mainstream-Karriere stand: Mit ihrem Script für Rob Reiners Meisterwerk "When Harry Met Sally …" erfand Ephron die moderne Form der RomKom aus dem Geist der Screwball-Komödie, die Ryan über viele Jahre so prägnant und kommerziell erfolgreich wie keine andere Schauspielerin verkörperte. Ihre Figuren waren eine postmodern kombinierte Mischung unterschiedlicher klassischer Komödienschauspieltugenden Hollywoods: die natürliche Gerissenheit Carole Lombards, die urbane Sophistication Katherine Hepburns, die elegante Lebhaftigkeit Claudette Colberts. Am besten zum Tragen kam Meg Ryans Talent, auch das ein klassischer Rückgriff auf amerikanische Genre-Traditionen, in der Verbindung und Auseinandersetzung mit unterschiedlich temperierten Leinwandpartnern, seien es der sardonisch misanthrope Billy Crystal oder Tom Hanks als gefühlvoll belastbarer Jedermann in "Sleepless  in Seattle", einem der allergrößten Erfolgsfilme der RomKom-Welle.

Nur allzu offensichtlich sucht "What Happens Later" zunächst den Abgleich mit diesen arrivierten Klassikern und deren Schauspieldynamiken. An einem Schalttag, "a magical day", trifft die von Ryan gespielte Willa beim Umstieg zwischen zwei Flügen auf Bill (David Duchovny), mit dem sie vor 25 Jahren eine lange Beziehung führte, die für beide auch nach der Trennung prägend bleibt. Duchovny gibt seine Rolle als grummelnd in die Jahre gekommener Vertreter der Generation X mit einer Überdrüssigkeit, für die es nicht mehr braucht als blasiert auf halb acht heruntergezogene Augen und eine sich darüber kräuselnde Stirn  - die Zumutungen der Gegenwart macht er paradigmatisch an den Zumutungen zeitgenössischer Musik fest: "It used to be rhythm, not algorithm." Mit so jemandem lässt sich eher schlecht wieder anknüpfen, es sei denn durch äußeren Zwang: Wegen Schneeverwehungen werden alle ausgehenden Flüge vorübergehend ausgesetzt und Willa und Bill dadurch genötigt, die Nacht gemeinsam am Flughafen zu verbringen.


Das so giftige wie larmoyante, mitunter wenig Funken sprühende Geplänkel zwischen zwei von sich und ihren Lebensentwürfen enttäuschten Gen-Xlern rückt trotz aller seitenraschelnden Wortlastigkeit schnell in den Hintergrund gegenüber der Art und Weise, wie Meg Ryan die somnambule, entleerte Atmosphäre des Flughafens inszeniert. Aufgrund von finanziellen Beschränkungen wurde der Film ausschließlich bei Nacht und mit einem Minimum an Statisten gedreht, die insbesondere zu Beginn des Films umso bestimmter aus dem Bild zu eilen scheinen. In den Weiten der Terminals, auf sich endlos fortbewegenden Rollbändern und in notdürftig beleuchteten Cafés sitzen und spazieren Bill und Willa so überwiegend allein. Andere gestalterische Entscheidungen scheinen ebenfalls aus der Not geboren: Der Pearl-Jam-Sänger Eddie Vedder, auch so ein GenX-Fossil, übernimmt nicht nur die übergriffig kommentierenden und launig eingreifenden Lautsprecherdurchsagen, sondern leiht seine digital verfremdete Stimme auch gleich noch den unsichtbaren, um den Flughafen wehenden Stürmen und Donnerschlägen.

Die stets subkutan präsente Musik wiederum hat etwas Unwirkliches, halb Erträumtes: Anstelle die einstmals populären Radiohits von Sheryl Crow oder Semisonic selbst zu verwenden, bat Meg Ryan die Künstler*innen darum, eigens für den Film aufgenommene Fahrstuhlmusik-Coverversionen benutzen zu dürfen, die in den Credits fiktiven Bands mit sprechenden Namen wie Beige Flags (ein Begriff, der langweilige Eigenschaften und Interessen auf Dating-Profilen bezeichnet) zugeordnet werden. Der Flughafen wird zu einem traumhaften Ort ohne wirkliches Außen, von Ryan selbst in einem Interview mit dem Zauberreich Oz verglichen - ein zeitenthobener Raum, alsbald bevölkert von den Gespenstern der gemeinsamen Erinnerung.

In Verbindung mit der theaternahen Struktur der Story mag diese formale Verspieltheit zunächst eher irritieren, gleichwohl präsentiert sich Ryan als eine Regisseurin, die einengende Low-Budget-Bedingungen in Kauf zu nehmen bereit ist, um ihre eigenen idiosynkratischen Impulse und Ideen erkunden zu können. Entstanden ist ein Film, der sich weder um eine retronostalgische Wiederaufnahme bewährter RomKom-Mechaniken bemüht (das obliegt, wenn überhaupt, längst einer jüngeren Generation), noch bereit ist, in den entspannt kapitulierenden Modus einer Best-Ager-Komödie zu wechseln. Auch "Ithaca", Meg Ryans erste Regiearbeit von 2015, war bereits durchdrungen von wehmütig beschworenen Geistererscheinungen und eigenwilligen ästhetischen Entscheidungen. Die Verfilmung eines Romans von William Sayoran aus den 1940ern erzählte die Geschichte eines Jugendlichen, der während des zweiten Weltkriegs als Telegrammbote das mähliche Verschwinden der Welt seiner Kindheit erlebt. Darin gespiegelt ist eine Allusion auf das, was Ryan möglicherweise selbst als für immer vergangen wähnt: In einer Sequenz trifft ihre Figur auf ihren verstorbenen Ehemann, gespielt von Tom Hanks, dem Leinwandpartner ihrer erfolgreichsten Filme.

Diese beiden Filme sind die einzigen Kinoproduktionen Meg Ryans der letzten 15 Jahre, und angesichts ihrer Eigenheiten liegt der Gedanke nahe, dass sie nach einer längeren Phase der Inaktivität wohl auch so etwas wie Ryans eigene Vorstellung eines kleineren Genre-Kinos beinhalten, wie es momentan sonst nirgendwo einen Platz findet. Es sind faszinierend ungenügsame, spleenig unzulängliche Werke, die ihre Schöpferin als eine spätberufene Melancholikerin des Vergänglichen und Vergangenen offenbaren.

Kamil Moll

What Happens Later - USA 2023 - Regie: Meg Ryan - Darsteller: Meg Ryan, David Duchovny - Laufzeit: 104 Minuten.