"
Halbherzig" nennt Boris Pofalla in der
Welt die
Reformen für die Documenta: Nach den großen Debatten des letzten Jahres (
unsere Resümees), gibt es jetzt einen
Code of Conduct, der allerdings nur für die
Träger gilt. Die künstlerische Leitung, die entscheidet, was nun eigentlich ausgestellt wird, fällt nicht darunter, womit das ganze Unterfangen
am eigentlichen Problem vorbeigeht, so Pofalla: "Der Beschluss des Aufsichtsrates erscheint als der Versuch, sich von möglichen Kontroversen schon einmal
prophylaktisch zu distanzieren, indem man eine Brandmauer aus Gremien und Regeln gegenüber den Kuratoren errichtet. Hinterher kann man dann behaupten, sich doch an die Empfehlungen der Beratungsfirma gehalten zu haben. Dass man diese in einem so entscheidenden Punkt - die in einen Code of Conduct gegossene Verantwortung der Kuratoren - dann aber doch nicht umsetzt, spricht Bände." Stefan Trinks schließt sich in der
FAZ der Skepsis an: "Die Frage bleibt aber, ob es mehr als ein
Lippenbekenntnis sein kann, da bei dieser Konferenz im Vorfeld das tatsächliche Erscheinungsbild der Kunstwerke noch nicht annähernd feststehen wird."
Auch wenn die künstlerische Leitung künftig zumindest darlegen muss, wie sie
Menschenwürde und Kunstfreiheit zugleich wahren will, sieht auch Jörg Häntzschel in der
SZ Konfliktpotenzial: "Welcher Kurator, welche Kuratorin würde einen solchen Code unterschreiben? Und:
Ist Kunst noch möglich, wenn sie Codes folgen muss? Klar ist jedenfalls, dass auch mit der jetzt beschlossenen Reform
künftige Konflikte nicht wegorganisiert sind."
Monopol zitiert eine Stimme, die das eigentliche Problem woanders verortet: "Der Kasseler Kunstwissenschaftler und Documenta-Kenner
Harald Kimpel hält einen solchen Kodex für überflüssig. 'Für mich ist das Abverlangen eines Bekenntnisses zur Menschenwürde fast ein
Verstoß gegen die Menschenwürde. Es ist nicht nur ein Ratlosigkeitszeugnis, sondern Teil einer herrschenden Misstrauenskultur.' (…) 'Das Hauptdilemma ist, dass man sich schon seit Langem von künstlerischen Inhalten verabschiedet hat, dass eine
Entkunstung stattgefunden hat.' Die Documenta trage zwar noch ihren Namen, werde aber mit beliebigen Inhalten gefüllt. Kimpel bekräftigte daher sein Plädoyer, die Documenta nach sieben Jahrzehnten zu einem 'fulminanten Abschluss zu bringen und sie vor dem Schicksal zu bewahren, alle fünf Jahre
als Kulturzombie reanimiert zu werden.'"
Im
Kölner Museum Ludwig lässt sich Georg Imdahl (
FAZ) von der
Roni Horn-Retrospektive "
Give Me Paradox or Give Me Death" bezirzen, die ihm ob ihrer
Vielfalt fast wie eine Gruppenschau vorkommt: So "bespiegelt das Künstlerinnen-Ich seine Gender-Identität in einer Serie mit Selbstporträts, verdoppelt das Gesicht paarweise in Aufnahmen, die vieldeutig zwischen femininer und maskuliner Lesbarkeit oszillieren. Dann paart Horn in Bildern aus den Jahren 2008 und 2009 jeweils zwei Fotos aus unterschiedlichen Lebensphasen und demonstriert auf poetische Weise, dass nicht nur das geschlechtliche Ich fluide sein kann, worauf Horn Wert legt, sondern auch das psychologische Selbst im Lauf eines Lebens im Fluss bleibt. So einfach wie überzeugend zeigt sich die Künstlerin in einer
Allegorie sämtlicher Lebensalter, die sie mit Momenten von Glück, Melancholie, Zweifel einfärbt.
Nichts ist hier endgültig."
Weiteres: Der Fotograf
Wolfgang Tillmans ist zu Gast im
Zeit-Podcast "
Alles gesagt?" und spricht über sein künstlerisches Leben und seine Kunstpraktiken. Der Kurator
Carlo Ratti stellt seine Pläne für die kommende
Archtitekturbiennale 2025 vor (
Monopol). Außerdem
besucht Monopol Leonie Herweg, die Gründerin und Kuratorin des
Raum Grotto im Berliner Hansaviertel.
Besprochen werden: "
Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften" in der
Alten Nationalgalerie Berlin (
FR), "Unknown Familiars" im Wiener
Leopold-Museum (
Standard), "Poesie der Zeit.
Michael Ruetz Timescapes 1966-2023" in der Berliner
Akademie der Künste (
Tagesspiegel) und "
Roy Lichtenstein. Zum 100. Geburtstag" in der
Albertina Wien (
Tagesspiegel).