JoachimLafosse tastet sich in "Ein Schweigen" an die Aufarbeitung eines Missbrauchs an (basierend auf dem Fall des Dutroux-Anwalts, der seinerseits des Besitzes von Kinderpornografie überführt wurde) und ebenso tastet sich Ekkehard Knörer (taz) an diesen Film heran, der seine Zusammenhänge erst allmählich zu erkennen gibt. Lafosse ist ein Regisseur, der "auf engem Raum viel Platz für subtile Darstellungen" gibt. "EmmanuelleDevos und DanielAuteuil geben ihren Figuren eine enorme Intensität, Devos aus oft großer Nähe, .... Auteil dagegen von Anfang bis Ende auf Abstand, als wäre etwas Entscheidendes noch bei voller Präsenz seltsamverdeckt. ... Dazu die vielen Autofahrten, die geradezu ein Leitmotiv sind. Nicht als Bewegung ins Freie, sondern als Abkapselung gegen das Außen, als Verdichtung von Nähe und Enge, aber so, dass der Blick nie ganz an die Körper herankommt." Andreas Kilb von der FAZ dagegen war enttäuscht: "Das Problem des Films liegt darin, dass er in der Perspektive der Frau keinen Halt findet." Es "ist trotz allem die Geschichte des Anwalts, auch wenn Lafosse sie nicht erzählen will. Um die Leere im Zentrum des Familienporträts zu füllen, hat er den Schauspieler vor die Kamera geholt, der diese Leere besser als jeder andere im Kino verkörpern kann: Daniel Auteuil. Sein Auftritt rettet Lafosses Film davor, in Betroffenheit zu ersticken. Statt eines Unholds spielt er einen Bürokraten, der seine Perversion zu den Akten genommen hat, um sie nachts wieder herauszuholen."
Morgen beginnt in Frankfurt am Main die Reihe "Kino & Lyrik", für die zeitgenössische Lyrikerinnen und Lyriker Filme in Bezug zu ihrer literarischen Arbeit setzen. Die SchriftstellerinRonyaOthmann hat die vom Filmkollektiv Frankfurt organisierte Reihe kuratiert, wir dokumentieren ihren Einführungstext: Lyrik scheint "auf den ersten Blick die literarische Gattung zu sein, die vom Kino am weitesten entfernt liegt." Wie findet beides zusammen? In ihrer eigenen Arbeit "hat das Kino, der Film immer eine Rolle gespielt, in mehrerlei Hinsicht. Das was ich gesehen hatte, schriebsich ein. Das konnte ein Bild sein, ein Mann trägt seine Frau auf dem Rücken durch den Schnee, ein Hubschrauber durchkreuzt das Blau des Himmels, eine Frau steht, hat die Gardine ein wenig beiseite geschoben, sieht aus dem Fenster und wartet. Das konnte eine gewisse Ästhetik sein, eine Langsamkeit im Erzählen, eine Schnittfolge. Das konnten auch Sätze sein, die eine Protagonistin sagt. Meist blieb das Gesehene und Gehörte eine Weile, bis nur noch die Erinnerung daran übrig war, bis es also von der Erinnerung überschrieben war und bis es durch sie zur Sprache kam. Und das Gesehene und Gehörte brachte weitere Bilder hervor, sie schreiben sich fort."
Besprochen werden DanielaVölkers Dokumentarfilm "Der Schatten des Kommandanten" über die Begegnung zwischen der Auschwitz-Überlebende AnitaLasker-Wallfisch mit den Nachkommen des KZ-Leiters RudolfHöß (BLZ), DavidE. Kelleys auf Apple gezeigtes Serien-Remake seines Gerichtsfilmklassikers "Aus Mangel an Beweisen" ("echte Wertarbeit", lobt Matthias Hannemann in der FAZ), der Animationsfilm "Alles steht Kopf 2" (Presse, Standard, Welt). die Disney-Serie "Becoming KarlLagerfeld" mit DanielBrühl in der Titelrolle (TA), XavierGens' Netflix-Horrorfilm "Im Wasser Serie" über Haifische, die Parisangreifen (Zeit Online) und die Netflix-SF-Serie "3 Body Problem" (Jungle World).
Für den Filmdienstspricht Josef Lederle mit dem Regisseur MarcusVetter über dessen in Jenin entstandenen Dokumentarfilmzyklus, der jetzt mit "War and Justice" fortgesetzt wird. Die Zahl der Menschen, die sich an Themis, die Vertrauensstelle für Film- und Musikschaffende zu Fragen von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz, wenden, nimmt aktuell rasant zu, berichtet Christiane Peitz im Tagesspiegel. In der Presseempfiehlt Lukas Foerster die Julien-Duvivier-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum.
Besprochen werden die Buddy-Actionkomödie "Bad Boys 4: Ride or Die" mit MartinLawrence und Will Smith (FAZ-Kritiker Daniel Haas fragt sich, "ob die letzten fünfzig Jahre Feminismus überhaupt stattgefunden haben") und die zweite Staffel der Netflix-Serie "Tour de France" (SZ).
Die PlattformShowrunner wirbt für sich als "Netflix der KI" und verspricht: Hier kann man sich angeblich die eigenenWunsch-Serien einfach perTexteingabe erstellen lassen und sehen (mit dem Manko allerdings, dass derzeit nur Zeichentrickoptiken zur Verfügung stehen). "Für die pathologischen Binge-Watcher klingt das wahrscheinlich nach einer sehr nahen Entsprechung des Paradieses", schreibt Michael Moorstedt in der SZ. Doch angesichts bisheriger Ergebnisse "sollte man seine Erwartungen nicht allzu hoch ansetzen." Mitunter "scheinen Serien nur aus Standbildern zu bestehen, die Animationen sind schief, die Stimmen ton- und die Ideen einfallslos. Trotz allem handelt es sich natürlich um ein prima Geschäftsmodell: In Zukunft sollen die Nutzer nicht nur eine Abo-Gebühr für die Inhalte-Plattformen bezahlen, sondern diese auch noch selbst befüllen."
Harald Staun relativiert in der FAS das Werbeversprechen weiter: "Statt mit einem einzigen Prompt ganze Folgen oder Staffeln zu erzeugen, eignen sich die KI-Tools eher dazu, kürzere Szenen oder Clips zu entwerfen, 30 Sekunden, maximal einige Minuten. Mit komplexenErzählbögen über mehrere Staffeln wie bei 'Breaking Bad' sind sie eher überfordert. ... Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse beeindruckend und dank der Fähigkeit, bestehende Stilmerkmale perfekt nachzuahmen und neu zu kombinieren, gelegentlich fast originell. Sogar Pointen funktionieren manchmal, weil ja auch diese oft auf bewährten Regeln beruhen. Und doch meint man früher oder später immer die Formelhaftigkeit der Skripts zu erkennen." Hier die erste Episode der an "South Park" angelehnten "Terminator"-Variante "Exit Valley":
Außerdem: Leo Geisler setzt im Filmdienst seine Essayreihe über "Kuchenfilme" fort. Besprochen werden der Katalog zur Ausstellung "Der deutsche Film. 1895 bis Heute" (FD), MattJohnsons "Blackberry" (FAZ), Mahalia Belos Katastrophenfilm "The End We Start From" (FAZ), IshanaShyamalans Horrorfilm "They See You" (Standard, unsere Kritik) sowie Cameron und ColinCairnes' Horrorfilm "Late Night with the Devil" (Jungle World).
Im NZZ-Gespräch mit Andreas Scheiner erinnert sich JessicaChastain unter anderem an ihre beschwerlichen Anfänge als Schauspielerin. Für die WamS hat Gunnar Meinhardt ausführlich mit dem Schauspieler JoeBausch gesprochen. Pascal Blum verzweifelt im Tagesanzeiger darüber, dass Haifisch-Horrorfilme immer beknackter werden. Eine Britin verklagt Netflix auf 170 Millionen Dollar wegen Verleumdung, weil sie sich in der Stalkerin in "Rentierbaby" wiedererkannt haben will, berichtet Susan Vahabzadeh in der SZ. Johann Thöming (FAZ) und Harald Eggebrecht (SZ) gratulieren DonaldDuck zum 90. Geburtstag. Seinen ersten Auftritt hatte er in Disneys "Silly Symphony"-Cartoon "Wise Little Hen":
Besprochen werden die Netflix-Serie "Eric" mit BenedictCumberbatch (NZZ) und Balojis "Omen" (Standard).
In seiner Artechock-Wochenkolumne trauert Rüdiger Suchsland um Ruth Maria Kubitschek: Es ist "die alte Bundesrepublik, von der mit ihr wieder ein kleines Stück gestorben ist. Und es war der Ort München, mit dem sie untrennbar verbunden war, mit dem München des Regisseurs Helmut Dietl und dieser Münchner Lässigkeit." Sie "spielte starke Frauen, als sie noch nicht so genannt wurden. Frauen, die das Kommando haben, selbstbewusste Frauen, Frauen, diedenMännernüberlegensind, auch an Ironie, an verstecktem Wissen. ... Göttlich, wie fassungslos die Kubitschek blicken konnte! Fassungslos ob der Dummheit und des Wahnsinns der Welt."
Außerdem: Georg Seeßlen verneigt sich im Freitag vor DonaldDuck, der dieser Tage seinen 90. Geburtstag feiert. Im Standardgratuliert Karl Fluch dem Sänger und Schauspieler VoodooJürgens zur Auszeichnung mit dem Österreichischen Filmpreis.
Besprochen werden IshanaShyamalans Horrorfilm "They See You" (Perlentaucher), Klaus Sterns Dokumentarfilm "Watching You" über die Überwachungsfirma Palantir (Artechock), der Dokumentarfilm "Don't Worry About India" des NamaCollectives (Artechock), KeiichiHaras Animationsfilm "Lonely Castle in The Mirror" (critic.de), Nikolaj Arcels Historienfilm "King's Land" mit MadsMikkelsen (FAZ), Cameron und ColinCairnes' Horrorfilm "Late Night with the Devil" (critic.de), die Disney-Serie "Becoming KarlLagerfeld" mit DanielBrühl in der Titelrolle (FAZ), die Wiederaufführung von ChristopherNolans Debütfilm "Following" (Artechock), SanderBurgers "Mein Totemtier und ich" (Artechock) und der vierte Teil der "Bad Boys"-Actionkomödienreihe mit MartinLawrence und Will Smith (NZZ, Standard, Presse, Artechock).
Das Filmforum im Museum Ludwig in Köln zeigt am kommenden Sonntag im Rahmen des Filmfestivals "Visions of Iran" AliAhmadzadehs klandestin produzierten, letztes Jahr in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichneten Film "Critical Zone", der später im Jahr auch regulär in die Kinos kommt. Für den Perlentaucherbespricht Alice Fischer den Film über einen Drogendealer, der mit einem Taxi durch die Nacht von Teheran streift. "Immer scheinen durch das Dunkel der Nacht die bunten Lichter Teherans - allerdings transportieren sie keinen Hoffnungsschimmer, halten keine Erlösung bereit für die existenzielleEinsamkeit, an denen die Figuren des Films leiden. Diese Stadt und dieses Land, regiert von Fanatikern, haben den Menschen nichts mehr zu bieten. Sie fliehen, bewegen sich unter dem Radar und suchen nach der kleinen Freiheit im Rausch. Die Verzweiflung schlummert unterschwellig und bricht sich nur ganz selten Bahn, vielmehr hat sich Abgestumpftheit und Sprachlosigkeit breit gemacht."
Weitere Artikel: Daniel Gerhardt plaudert für ZeitOnline mit DanielBrühl über seine Rolle als KarlLagerfeld in einer (im Freitagbesprochenen) Disney-Serie. Patrick Heidmann spricht für die taz mit den Brüdern Bill und Turner Ross, deren Roadmovie "Gasonline Rainbow" gerade auf Mubi läuft. In seiner Textreihe zur Geschichte des Heist-Movie erinnert Leo Geisler im Filmdienst an JohnFlynns "Revolte in der Unterwelt" von 1973. Beim österreichischen Filmpreis konnten VeronikaFranz' und SeverinFialas "Des Teufels Bad" acht Auszeichnungen einheimsen, berichtet Valerie Dirk im Standard.
Besprochen werden unter anderem KlausSterns Dokumentarfilm "Watching You" über den ÜberwachungskonzernPalantir (FAZ), LeslieFrankes und HerdolorLorenz' Dokumentarfilm "Sold City" über den Irrsin auf dem Wohnungsmarkt (Freitag), die DVD-Ausgabe von JérémiePérins Animationsfilm "Mars Express" (taz), IshanaShyamalans Horrorfilm "They See You" (FR), Nikolaj Arcels Historienfilm "King's Land" (taz), MarcusVetters und MicheleGentiles Dokumentarfilm "War and Justice" (FR), die neue "Star Wars"-Serie "The Acolyte" (Tsp, online nachgereicht von der Welt) und MichaelKloftsNDR-Doku "24 h D-Day" über die Landung der US-Streitkräfte in der Normandie heute vor 80 Jahren (Welt).
Im Tagesanzeigerversucht Marie Schmidt, den sagenhaften Erfolg der Neowestern-Serie "Yellowstone" mit KevinCostner aufzuschlüsseln. Suchte der klassische Western noch Richtung Horizont nach der Weite der Welt, handelt diese Serie über eine Ranch "von der letzten Verteidigung einer kleiner werdenden Welt im Angesicht ihrer ständig drohendenZerstörung." Der "Zirkelschluss der Gewalt imprägniert jede Sekunde jeder Folge, jedes Detail der Kulisse, jede Totale der unbändigen Natur Montanas, jedes Komma des Drehbuchs. Das Pathos der Dialoge lässt jede ihrer geraunten Sentenzen wie ein Fallbeil sausen." So bricht die Serie die politische Wirklichkeit der gegenwärtigen USA "herunter auf Minimalelemente des amerikanischen Mythos - ein Pferd, eine Waffe, ein Mann, eine Frau, meine Herde, deine Gier, in meine Fresse, indeineFresse - und permutiert sie, bis die nackte Existenzangst dahinter nicht mehr zu verdrängen ist."
Außerdem: Christoph Heim ärgert sich im Tagesanzeiger über das diesjährige Plakat des Filmfestivals von Locarno. Martin Walder gratuliert in der NZZ dem Schweizer Regisseur RichardDindo zum 80. Geburtstag. Aljoscha Begrich schreibt im Freitag zum Tod von ThomasHeise.
Besprochen werden Leandro Kochs und PalomaSchachmanns halbdokumentarischer Film "Das Klezmer-Projekt - In mir tanze ich" ("charmant", findet Katharina Granzin in der taz), NikolajArcels Historiendrama "King's Land" mit Mads Mikkelsen (Tsp), KatrinRothes Legetrickfilm "Johnny & Me - Eine Zeitreise mit John Heartfield" (Standard), Güner BalcisZDF-Porträtfilm "Die Nummer auf meinem Arm" über den ostfriesischen Shoah-Überlebenden AlbrechtWeinberg (FAZ) und der vierte Teil der "Bad Boys"-Actionkomödienreihe mit WillSmith (Welt).
Für den StandardsprichtGuyNattiv mit Valerie Dirk über seinen Biopic über GoldaMeir (unsere Kritik). Urs Bühler spricht mit IsabelleHuppert über deren Schauspielkunst. Für Cargoschreibt Matthias Dell einen weiteren, großen Nachruf auf ThomasHeise, in dem es unter anderem ums Schwarzfahren geht.
Besprochen werden DanielKötters Essayfilm "Landshaft" über die Region Bergkarabach (SZ, FD), RonHowards Dokumentarfilm "JimHenson: Ein Mann voller Ideen" über den "Muppets"-Schöpfer (taz), MatthiasGlasners "Sterben", der nun auch in der Schweiz startet (NZZ), und die Apple-Serie "The Big Cigar" über den Black-Panther-Anführer HueyNewton (Jungle World).
Auch die Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek ist gestorben. In der SZ erinnert sich Philipp Bovermann wärmstens an ihre bekanntesten Fernsehrollen. Vor allem eine Szene aus "Kir Royal" ist ihm im Gedächtnis geblieben, in der Verlegerin Friederike von Unruh (Kubitschek) vor ihrem Klatschreporter auf einen Tisch steigt: "Sie möchte einen Krampfaderndoktor aus dem Schussfeld ihres Reporters und dessen Schmuddelgeschichten bringen. Das seien doch tadellose Beine, sagt sie, und stellt eins davon schräg. Aber möglich sei das nur dank der Hilfe des Herrn Doktors. Sie fährt mit einem Finger ihr Bein von der Wade an aufwärts und erklärt, sachlich und staubtrocken, wie er das gemacht habe. 'Ader verödet, kleinen Schnitt hier, kleinen Schnitt da, kleinen Schnitt im Schritt - na ja, das können Sie jetzt nicht so gut sehen.' Dann schlägt Friederike von Unruh den Stoff ihres Rocks wieder zurück und blickt auf den Reporter herab, dem sie das vom Tisch geräumte Blumenbouquet in die Hand gedrückt hat. Noch Fragen?" Weitere Nachrufe schreiben Manuel Brug (Welt) und Andreas Kilb (FAZ).
Außerdem: In der SZ erinnert sich der Regisseur JanBonny an seine Gymnasialzeit in Düsseldorf. Silvia Hallensbleben schreibt in der taz zum Tod von ThomasHeise (weitere Nachrufe hier und dort).
Besprochen werden Todd Haynes' "May December" (Jungle World, unsere Kritik), MichaelFetterNathanskys Beziehungsdrama "Alle die Du bist" (taz) und die Netflix-Serie "Eric" mit Bendict Cumberbatch (FAZ).
Weitere Nachrufe auf ThomasHeise (mehr zu dessen Tod bereits hier) schreiben der Dokumentarfilmemacher Gerd Kroske (Spiegel), Matthias Dell (Zeit Online), Dietrich Leder (Filmdienst) und Bert Rebhandl (FAZ). Daland Segler empfiehlt in der FR die 24. Ausgabe des auf den japanischenFilm spezialisierten FilmfestivalsNipponConnection.
Besprochen werden GuyNattivs "Golda" (FAZ, unsere Kritik), DavidBellos' Biografie über Jacques Tati (FD) und die Disney-Serie "Becoming KarlLagerfeld" mit DanielBrühl in der Titelrolle (WamS).